Auf phantastischen Pfaden
Das Vermächtnis des Kara" und "Durchs wilde Ernstthal".
Das Vermächtnis des Kara
„Es selâm 'alejkum! Darf ich mich ans
Feuer setzen?“, fragte ich die Gesellschaft. Der flackernde Schein beleuchtete
sonnengegerbte, zerfurchte Gesichter. Die hellen Turbane leuchteten im Dunkel
der Wüstennacht. Einer der Araber erhob sich. Er war recht klein und dürr. Sein
nicht mehr weißer Burnus war sichtlich für einen viel größeren Mann gefertigt.
Ein paar Fasern am Kinn und einige Spinnfäden rechts und links der Nase
deuteten wohl einen Bart an, der die Lippen frei ließ, die sich nun zu einem
freundlichen Lächeln verzogen. Mit der Hand beschrieb er eine einladende Geste.
Ich nickte dankend und setzte mich ans
wärmende Feuer. War die Wüste bei Tage ein brennender Glutofen, so war es des
Nachts sehr kalt unter dem leuchtenden Sternenband.
„We 'alejkum es selâm!“, antwortete nun
der Araber. „Wer seid Ihr?“
„Mein Name ist Albin Wadenbach.“
Jemand bot mir einen Korb mit Datteln. Ich
nahm einige in die Hand und reichte ihn weiter. Die Kamele der Reisenden
lagerten nahe der Wasserstelle und ich konnte ihr Schnauben und Brummen hören.
„Was führt Euch durch dieses Land, Sihdi?“,
fragte mich der Bärtige. Seine Augen funkelten wissbegierig im Licht des
Lagerfeuers.
„Ich bin Reporter und schreibe einen
Reisebericht über den Orient“, antwortete ich.
„Oh. So kommt Ihr aus dem Abendland?“
„Ja. Das ist wahr ... Und wohin führt Euer
Weg?“
Der Mann steckte sich eine Dattel in den
Mund und begann bedächtig zu kauen. Dann antwortete er: „Wir bringen Waren von Bagdad nach
Stambul.“
Ich blickte ins Feuer. Die Auskunft kam
mir seltsam vor, denn diese Oase hier lag gewiss nicht auf der beschriebenen
Route. Doch hütete ich mich, einen Verdacht laut zu äußern. Ich kannte diese
Leute nicht und war lieber vorsichtig.
„Habt Ihr, Sihdi Wadenbak, schon Berichtenswertes
erlebt?“ Das Männchen stopfte sich wieder eine Dattel in den Mund. Seine
Gefährten saßen still daneben und lauschten unserem Gespräch.
„Ich weiß nicht“, gestand ich leise, „ob
es berichtenswert ist. Doch ich hatte vor wenigen Tagen eine seltsame Begegnung.“
„Oh, wenn es Euch gefällt, so erzählt uns
davon. Wir lauschen gern seltsamen Geschichten. Dies verkürzt uns die Nacht.“
Nun stopfte ich mir meinerseits eine der
süßen Datteln in den Mund, um Zeit zu gewinnen und kaute lange auf ihr herum.
Ich überlegte, wo ich beginnen sollte...
Durchs wilde Ernstthal
Die Mai-Sonne schien warm auf mich herab.
Ich mäßigte meinen Lauf, denn meine Beine wurden mir schwer und meine Lungen
brannten. Der Anstieg zum Oberwald hatte mich doch sehr angestrengt und mein
Puls raste. Das Herz klopfte mir bis in den Hals. Hatte ich die Häscher der
Justiz abhängen können? Ich lauschte. Es war kein verdächtiges Geräusch zu
vernehmen, kein Knacken von Zweigen unter schwerem Tritt, kein rollendes
Gestein losgetreten von Polizeistiefeln. Gedämpftes Geläut der Ernstthaler
Glocke war zu hören – unten aus dem Tal. Doch die Bäume ringsum verwehrten mir
den Blick auf den Ort meiner Kindheit. Ich schüttelte die Erinnerungen ab, die
mich zu übermächtigen versuchten. Nach kurzem Verschnaufen rückte ich den
Rucksack zurecht und trat in den stillen und geheimnisvollen Wald ein.
Die Äste der Bäume wölbten sich über mir
und die zarten grünen Blätter filterten das Sonnenlicht. Ich lenkte meine Füße
in den Hohlweg des Pechgrabens. Die Stimmen der Vögel waren wie Musik in meinen
Ohren und mein wildes Herz begann sich zu beruhigen. Eine Amsel saß auf einem
Zweig und trällerte ihr Frühlingslied. Weiter entfernt von der Höhe des
Kiefernberges her drang das Tock-tock-tock eines Spechtes zu mir herunter. Der
Warnruf eines Eichelhähers lies mich zusammenzucken. Meine Muskeln spannten
sich wie die eines Pferdes vor dem Sprung. Mit angehaltenem Atem blickte ich
mich um. Doch da war niemand. Mir wurde gewahr, dass ich selbst der
Eindringling war, vor dem der Vogel warnte.
„Greenhorn!“, titulierte ich mich selbst
und lachte in mich hinein. „Pshaw! Diesmal sollen sie mich nicht erwischen. Ins
Arbeitshaus nach Zwickau kehre ich auf keinen Fall zurück.“
Weiter wanderte ich durch das romantische
Tal, lauschte dem Gesang der Vögel und dem leisen Plätschern der Wasser des
Pechgrabens. Bald vereinten sie sich mit den Wassern des Schindelgrabens. Nun
wusste ich, dass das Ziel nicht mehr fern war. Ich setzte zum Sprung an und
landete wohlbehalten auf der anderen Seite. Dichtes Buschwerk verdeckte dem unwissenden
Wanderer den Bick in den Hohlweg. Ich bahnte mir einen Durchgang und endlich
tat sich vor mir der Schlund der Eisenhöhle auf. Furchtlos trat ich in das
Dunkel des Berges. Es sollte mein Schutz sein, mein Unterschlupf, bis sich die
erregten Gemüter beruhigt hatten. Dann würde ich weiter ziehen. Doch vorerst
schlug ich hier mein Lager auf.
Wenn auch nur im Geiste meiner Phantasie,
so war ich doch ein geübter Westmann, der sich nicht vor den Herausforderungen
der Natur fürchtete. Ganz im Gegensatz zu den Herausforderungen eines
gutbürgerlichen Lebens, denen ich mich zum wiederholten Male nicht gewachsen
sah. Doch sei gewiss, lieber Leser, dass ich auch diese eines Tages meistern
werde. Fehlt mir doch einfach nur das Ziel meines Lebens und Zeit. Zeit, meiner
Bestimmung zu entsprechen. All das zu Papier zu bringen, was schon lange in mir
schlummerte. Doch die Zeit war ein unbarmherziger Sklaventreiber, der die Karawane
der Ereignisse durch die Wüste des Lebens trieb. Und so war ich stets damit
beschäftigt gewesen, mir Teller und Krug zu füllen, anstatt die leeren Seiten,
die ich stets bei mir trug. Dies wollte ich nun ändern...
Es folgen - passend zur Leseprobe - ein paar Fotos:
Es folgen - passend zur Leseprobe - ein paar Fotos:
Inschrift über der Karl May Höhle in Hohenstein-Ernstthal |
Der Pechgraben |
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